BLEIBERECHT FÜR ALLE – statt Chancenfalle!

Intersektionaler Feminismus

Foto vom Women’s March 19.01.2019 in Berlin, 3 junge (weiße) Frauen* tragen gemeinsam ein Schild mit der Aufschrift: intersectional feminism is the only feminism (Intersektionaler Feminismus ist der einzige Feminismus)

Das deutsche Asyl- und Aufenthaltsrecht ist durchzogen von struktureller Gewalt, z.B. Arbeitsverboten und der Verpflichtung in Sammelunterkünften zu leben.

Feminist*innen und Menschenrechtsorganisationen werden noch viel zu tun haben, deutlich zu machen, dass diese strukturelle Gewalt genderspezifische Aspekte hat. Zum 8. März, dem internationalen Frauenkampftag, möchten wir dazu beitragen und an einigen Beispielen aufzeigen, wie sich Rassismus und Sexismus verschränken.

1. das sogenannte ‘Chancen-Aufenthaltsrecht’

Menschen, die am Stichtag 31.10.2021 bereits fünf Jahre lang in Duldung gelebt haben, sollen für 18 Monate eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Wenn sie es schaffen innerhalb der 18 Monate Deutschkenntnisse nachzuweisen, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen und ihre “Identität” mit Dokumenten zu belegen, können sie danach in in andere Aufenthaltsregelungen wechseln.

Die Hürden für die Verfestigung des Aufenthaltsrechts nach den 18 Monaten sind insbesondere für Frauen* hoch.

Das Gesetz sieht zwar einige Ausnahmen von der Erfordernis vor, den Lebensunterhalt überwiegend selbst zu sichern, z. B. für Alleinerziehende mit Kleinkindern oder für Menschen, die pflegebedürftige nahe Angehörige pflegen.  Aber diese Ausnahmen reichen nicht. Denn ansonsten werden in den Bleiberegelungen die besonderen Lebensrealitäten von Frauen* weitgehen ignoriert:

Die Bedingungen sind an der Verwertbarkeit von Menschen auf dem deutschen Arbeitsmarkt orientiert. Aber geflüchtete Frauen* sind auf dem Arbeitsmarkt als Migrant*innen und als Frauen* doppelt benachteiligt und haben es viel schwerer eine existenzsicherde Arbeit zu finden. Außerdem sind Migrant*innen am Arbeitsplatz oft Rassismus, rassistischen Angriffen und sexistischen Übergriffen ausgesetzt. Wird erwartet, dass sie das stillschweigend hinnehmen, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren?

Die Leistungen von Frauen*, die in einem zweisprachigen Umfeld Kinder erziehen werden nicht als “Integrationsleistung” anerkannt. Denn Carearbeit zählt nicht: Für eine gesunde und liebevolle häusliche Umgebung sorgen, die Mängel des deutschen Schulsystems mit Betreung zuhause abfedern und ausgleichen müssen, Kommunikation mit Kitas und Schulen…

Die Anforderung “mündliche Sprachkenntnisse auf A 2 Niveau” vorweisen zu können, grenzt bildungsbenachteilgte Frauen aus oder liefert sie der Behördenwillkür aus.

Sie können ihre Deutschkenntnisse beweisen, indem sie “bei der Ausländerbehörde Gespräche mit den dortigen Bediensteten erfolgreich führen konnten, ohne hierfür jemanden zu brauchen, der das Gesagte übersetzt”(Quelle) Eine absurde Vorstellung: Das würde nur funktionieren, wenn die Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörde auf A 2 Niveuau kommunizieren würden.

Oder sie sollen ihre Deutschkenntnisse beweisen, indem sie ein Prüfungszertifikat nach Abschluss eines Deutschkurses vorlegen. Bisher waren viele Asylsuchende und Geduldete weitgehend von Deutschkursen ausgeschlossen, erst jetzt mit dem ‘Chancen-Aufenthaltsrecht’ haben sie Zugang zu Integrationskursen.

Da es keine Deutschkurse gibt, die nur “mündliche Sprachkenntnisse” vermitteln, müssen Frauen, die in ihrem Herkunftsland keine Schule besuchen konnten, z. B. einen Integrationskurs mit Alphabetisierung besuchen. Laut Aussagen des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), kann es bis zu 1200 Unterrichtstunden dauern, bis sie damit auf A 2 Niveau sind. Bei 20 Unterrichtsstunden pro Woche sind das 60 Wochen: Ferien, Feiertage und vor allem Wartezeiten auf einen passenden Kurs werden dazu führen, dass viele dieses Ziel nicht innerhalb von 18 Monaten erreichen können.

2. Mangelnde Umsetzung der Instanbul-Konvention

Mit dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (kurz: Istanbul-Konvention) hat sich der deutsche Staat dazu verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu bekämpfen, zu verfolgen und Mädchen und Frauen nachhaltig zu schützen.

Artikel 59 der Konvention legt fest, dass Opfer von Gewalt, deren Aufenthaltsstatus vom Aufenthaltsstatus de*r Ehegatt*in abhängt, im Fall der Auflösung der Ehe oder der Beziehung „bei besonders schwierigen Umständen auf Antrag einen eigenständigen Aufenthaltstitel unabhängig von der Dauer der Ehe“ erhalten.

Die aktuelle Bundesregierung ist der Meinung, dass Deutschland Artikel 59 ausreichend umsetze: „Die persönliche Situation der Opfer wird bei jeder aufenthaltsrechtlichen Prüfung berücksichtigt“, behauptet das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ, 28.10.2022).

Fachorganisationen sehen das anders: §31 des Aufenthaltsgesetzes sorgt dafür, dass Frauen, die nicht mehr mit ihrem Ehegatten zusammenleben wollen, Angst um ihre Aufenthaltserlaubnis haben müssen, wenn die Ehe seit weniger als drei Jahren besteht. „Dadurch fehlt es Frauen nicht nur an Schutz, sondern sie sind aufgrund bestehender Gesetze gezwungen, mit Gewalt und Missbrauch zu leben, weil sonst eine Abschiebung drohen kann“, sagt Dr. Atmaca vom Bündnis Istanbul-Konvention.

Wenn die Bundesregierung die Istanbul-Konvention umsetzen und Frauen vor Gewalt schützen will, muss sie das Aufenthaltsrecht von Ehegatt*innen reformieren. Wir brauchen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ehegatt*innen vom ersten Tag an.

Feminist*innen und Menschenrechtsorganisationen werden also noch viel zu tun haben, die tatsächliche Umsetzung des Artikel 59 der Istanbul-Konvention einzufordern.

3. Ignoranz gegenüber geschlechtsspezifischer Verfolgung

In Afghanistan schränken die Taliban die Rechte von Frauen* und Mädchen immer weiter ein. Frauen* müssen sich Kleidungsvorschriften beugen, dürfen keine Schulen und Universitäten besuchen, keine Sport machen, keine öffentlich sichtbaren Berufe mehr ausüben, nicht ohne Begleitung eines Mannes weiter als 72 Kilometer reisen, Frauen* werden gefoltert, geschlagen und gesteinigt.

Die Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) hat deshalb im Januar ihre Länder-Richtlinie für Afghanistan aktualisiert. Die EU-Agentur geht davon aus, dass „Frauen und Mädchen allgemein von Verfolgung bedroht sind und daher Anspruch auf einen Flüchtlingsstatus haben“.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sah das im Jahr 2022 anders: Nur rund 29 Prozent der schutzsuchenden Frauen* aus Afhanistan wurden als Flüchtlinge oder Asylberechtigte anerkannt. Die anderen erhielten einen prekäreren Aufenthaltstitel: 7 Prozent bekamen den subsidiären Schutz, fast 64 Prozent nur ein Abschiebungsverbot. Das Bundesministerium des Innern und für Heimat sieht auch keinen Anlass diese Entscheidungspraxis deutlich zu verändern (Quelle).

Mit diesen Aufenthaltstiteln haben geflüchtete Frauen aus Afghanistan einen eingeschränkten Zugang zu Ausbildungen und eigenschränkte oder fast keine Möglichkeiten zum Familiennachzug. Mit anderen Worten: Ihre Entrechtung wird fortgesetzt.

 

Beitragsbild: Women’s March 19.01.2019 Berlin

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