BLEIBERECHT FÜR ALLE – statt Chancenfalle!

Die Instanbul-Konvention umsetzen!

Deutschland erneuert die Vorbehalte gegen die Istanbul-Konvention nicht – und feiert sich dafür.

Anstatt sich selbst zu applaudieren, sollte die Bundesregierung das Aufenthaltsrecht von Ehegatt*innen reformieren, um Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte besser vor Gewalt zu schützen.

Was ist die Istanbul-Konvention?

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen1 und häuslicher Gewalt (kurz: Istanbul-Konvention) ist ein völkerrechtlich bindendes Regelwerk zur umfassenden Bekämpfung von Gewalt an Frauen und Mädchen. Staaten, die die Konvention unterzeichnet haben, verpflichten sich, die in der Istanbul-Konvention vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen und ihre nationale Gesetzgebung an sie anzupassen.

Die Konvention wurde am 11. Mai 2011 in Istanbul verabschiedet und ist zum 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten. Damit hat sich der deutsche Staat dazu verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu bekämpfen, zu verfolgen und Mädchen und Frauen nachhaltig zu schützen.

Unter Vorbehalt: Bisher hatte die Bundesregierung Vorbehalte gegen Artikel 59 der Konvention, in dem die Verpflichtung festgeschrieben ist, auch Frauen mit prekärem Aufenthaltsstatus vor Gewalt zu schützen. Damit war Deutschland bisher nicht zur vollständigen Umsetzung von Artikel 59 verpflichtet.

Artikel 59 legt fest, dass Opfer von Gewalt, deren Aufenthaltsstatus vom Aufenthaltsstatus de*r Ehegatt*in abhängt, im Fall der Auflösung der Ehe oder der Beziehung „bei besonders schwierigen Umständen auf Antrag einen eigenständigen Aufenthaltstitel unabhängig von der Dauer der Ehe“ erhalten (Im Original als pdf).

Diese Vorbehalte laufen nun fünf Jahre nach Einlegung automatisch aus, wenn der Staat sie nicht ausdrücklich gegenüber dem Europarat verlängert und dies begründet. Da die Bundesregierung die Vorbehalte nicht aufrechterhalten hat, gilt die Konvention seit heute uneingeschränkt auch in Deutschland.

Was bedeutet das konkret?

Zunächst einmal gar nichts. Denn die aktuelle Bundesregierung ist der Meinung, dass Deutschland Artikel 59 bereits jetzt vollständig umsetze: „Die persönliche Situation der Opfer wird bei jeder aufenthaltsrechtlichen Prüfung berücksichtigt“, behauptet das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ, 28.10.2022).

Fachorganisationen sehen das anders: §31 des Aufenthaltsgesetzes sorgt dafür, dass Frauen, die nicht mehr mit ihrem Ehegatten zusammenleben wollen, Angst um ihre Aufenthaltserlaubnis haben müssen, wenn die Ehe seit weniger als drei Jahren besteht. „Dadurch fehlt es Frauen nicht nur an Schutz, sondern sie sind aufgrund bestehender Gesetze gezwungen, mit Gewalt und Missbrauch zu leben, weil sonst eine Abschiebung drohen kann“, sagt Dr. Atmaca vom Bündnis Istanbul-Konvention.

Wenn die Bundesregierung die Istanbul-Konvention umsetzen und Frauen vor Gewalt schützen will, muss sie das Aufenthaltsrecht von Ehegatt*innen reformieren. Wir brauchen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ehegatt*innen vom ersten Tag an.

Feminist*innen und Menschenrechtsorganisationen werden also noch viel zu tun haben, die tatsächliche Umsetzung des Artikel 59 der Istanbul-Konvention einzufordern.

Auch darüber hinaus stehen noch viele Maßnahmen zur Umsetzung der Konvention aus:

Es fehlen beispielsweise

  • „ein nationaler strategischer Rahmen sowie bundesweite Ziele zur Umsetzung der Konvention, die die Rechte der Opfer in den Mittelpunkt stellen“(AWO  31.01.2023)

  • eine bundesgesetzliche Grundlage, die das Recht auf Schutz, Beratung und Hilfe bei geschlechtsspezifischer bzw. häuslicher Gewalt gegen Frauen und Mädchen garantiert,

  • rund 15.000 Familienplätze in Frauenhäusern,

  • spezifischen Angebote für Frauen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, für wohnungslose Frauen und für Asylsuchende.

Aber das reicht uns nicht.

Die Istanbul-Konvention bezieht sich auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die vom Ehemann oder Beziehungspartner ausgeht. Als Menschenrechtsaktivist*innen haben wir auch die Gewalt im Blick, die vom Staat ausgeht. Ohne Zweifel sind Abschiebungen Gewalt. Das Asyl- und Aufenthaltsrecht ist durchzogen von struktureller Gewalt, z.B. Arbeitsverboten und der Verpflichtung in Sammelunterkünften zu leben. Feminist*innen und Menschenrechtsorganisationen werden noch viel zu tun haben, deutlich zu machen, dass auch diese strukturelle Gewalt genderspezifische Aspekte hat. 

Unsere Forderung:

Menschenrechte und eine sichere Bleibeperspektive für Alle.

Beitragsbild: Demo von Women in Exile & Friends am 07.03.2015 in Potsdam

1 Die Instanbul-Konvention bezieht sich tatsächlich auf Frauen ohne Sternchen. Um den Kontext richtig wieder zu geben, verzichten wir deshalb in diesem Artikel ebenfalls auf gendersensible Sprache.

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