BLEIBERECHT FÜR ALLE – statt Chancenfalle!

Reden/speeches

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07.10.22: Rede von ‘Ende Gelände Berlin‘ zur Auftaktkundgebung der Kampagne ‘BLEIBERECHT für ALLE – statt Chancenfalle!’

Liebe Freund*innen und Genoss*innen,

wir als Ende Gelände Berlin und demnach als ein Teil der Klimagrechtigkeitsbewegung, haben uns der Kampagne “Bleiberecht für Alle- statt Chancenfalle” angeschlossen, weil wir unter Klimagerechtigkeit nicht nur Klimaschutz verstehen, so wie einige grüne Kapitalisten, die denken man könne Neo-Koloniale Ausbeutung ein bisschen grün anstreichen, dann wirds schon gehen, sondern weil wir soziale und globale Gerechtigkeit fodern und diese auch anstreben! Während wir lernen, dass der Kampf um Klimagerechtigkeit nur gemeinsam und international funktioniert, sind für einen Weg in eine solidarische Gesellschaft die Kämpfe um Bewegungsfreiheit für Alle und gegen alle Formen der Unterdrückung damit untrennbar verbunden. Daher wollen wir unsere Kämpfe verbinden!

Die Klimakrise ist das Öl im Feuer, welches Lebensgrundlagen zerstört und gleichzeitig Konflikte und Kriege ankurbelt, damit also indirekt aber auch direkt mit die größte Fluchtursache ist und Millionen von Menschen bedroht. Dass dies Menschen aus Geographien im Globalen Süden am härtesten trifft ist die Folge neokolonialer Strukturen welche sich über das kapitalistische System aufrecht erhalten und dazu beiträgt, dass  Menschen wegen der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, Hunger, Krieg usw. fliehen. Ein Zustand den man niemandem wünscht! Auch wenn die meisten Menschen Zuflucht in umliegenden Ländern suchen, nimmt ein kleiner Teil den weiten und (gefährlichen) Weg nach Europa auf sich.

Mit viel Hoffnung und dem Gedanken es endlich geschafft zu haben landen die Menschen in Auffanglagern wie Moria und erleben dort die Hölle. So viel Menschenverachtung zentriert in einem Gefängnis ähnlichen Gebäude, ist einfach wiederlich! Andere versuchen ihr Glück über die Balkanroute oder über diverse Meeresrouten bei der sie mit einer ähnlichen Willkommenskultur konfrontiert sind.

Schnell wird klar die Festung Europa, die so viel Aussicht auf Verbesserung verspricht ist nur offen, solange du, nicht aus einem Drittstaat kommst, nicht BIPoC bist und/oder natürlich du eine nützliche Arbeitskraft darstellst.

Aber nun ja, kommen wir zur Kampagne und den Gesetzesänderungen zurück, weswegen wir alle hier sind. Wenige Menschen werden hier von dem “wohlwollenden” Deutschland aufgenommen. Doch was sie hier erleben, so lange sie nicht einem vorbildlich westlichen Ideal einer Arbeitskraft entsprechen ist einfach unglaublich. Isoliert in Asylheimen, ohne ausreichende gesundheitliche und psychische Versorgung, werden den Geflüchteten Auflagen aufgedrückt, die je nach Lebenssituation einfach nicht zu realisieren sind und sich auch nur darauf konzentrieren diese Menschen als “sinnvolle” Arbeitskraft zu integrieren, welche am liebsten eh nur Ausgebeutet werden soll. Wie nur kann der zufällige Geburtsort und optische Merkmale ein selektiver Marker für Gut und Böse sein? Und wie kann man so rücksichtlos und unempathisch von Menschen abverlangen, wie beim Chancenaufethaltsgesetz, Vorlagen innerhalb eines Jahres umzusetzen, die je nach Lebenssituation und auch Lebenswunsch nich realisierbar sind und dann die Abschiebung droht. Was ist das denn für ein Druck? Wer soll sich denn da unbeschwert integrieren, wenn die ganze Zeit die nackte Panik im Rücken hängt abgeschoben zu werden, bei jedem Furz den man lässt.

Menschen tatsächlich die Möglichkeit und Zeit zu lassen sich frei zu entfalten, in ihrem Tempo und nach ihrem Rhythmus würde wahrscheinlich bedeuten einzugestehen Verantwortung zu tragen für Flucht, Krieg und die Klimakrise. Und das würde bedeuten Macht zu verlieren. Macht die darauf beruht zu Zerstören, egal ob Mensch, Tier oder Natur. Es ist einfach pervers und erstaunlich wie das weg ignoriert wird. Und sich jetzt hier hinter uns (Bundestag) auf die Schulter geklopft wird, weil man ein bisschen durch ein besseres Wording die Asylgesetze aufpoliert hat, dabei ist es die selbe menschenverachtende Suppe wie vorher und gilt nur als Verbesserung für diejenigen die sich wie gesagt als gute Arbeitskraft integrieren können.

Das Aufgreifen dieser neoliberalen Logik in den neuen Migrationspaketen ist nur eine perverse Fortsetzung und Vertiefung der Spaltungsmechanismen des kapitalistischen Systems durch das Geschwür einer nationalen Idee. Solange sich nichts an der grundlegenden Logik ändert und sich die Debatte nicht auf einer menschenrechtlichen Ebene bewegt, ist der Staat nicht mehr als ein treuer Gehilfe der kapitalistischen Ordnung. Dies zeigt auf, dass die Bundesregierung und der Staat sich nur in kleinteiligen Diskussionen und Komplexität verlieren und damit den eigentlichen Diskurs verschleiern und ablenken.

Wir jedoch müssen diesen Versuch der Spaltung erkennen und diese Logik durchbrechen, in dem wir solidarisch sind, zusammen kämpfen, für Menschenrechte und ein gutes Leben für alle. Daher kann unsere Forderung nicht weniger lauten als: Bleiberecht für Alle, statt Chancenfalle!


Dear friends and comrades,

we as Ende Gelände Berlin and therefore as a part of the climate justice movement, have joined the campaign “Right to Stay for All- instead of Opportunity Trap”, because we understand climate justice not only as climate protection, like some green capitalists who think you can paint neo-colonial exploitation a little bit green, then it will work, but because we demand social and global justice and strive for it! While we learn that the struggle for climate justice only works together and internationally, the struggles for freedom of movement for all and against all forms of oppression are inseparable for a way to a solidary society. Therefore we want to connect our struggles!

The climate crisis is the oil in the fire, which destroys livelihoods and at the same time fuels conflicts and wars, thus indirectly but also directly being the biggest cause of flight and threatening millions of people. The fact that this hits people from geographies in the Global South the hardest is the consequence of neocolonial structures which are maintained by the capitalist system and contributes to the fact that people flee because of the destruction of their livelihoods, hunger, war, and so on. A condition which one wishes to nobody! Even if most people look for refuge in surrounding countries, a small part takes the far and (dangerous) way to Europe on itself.

With a lot of hope and the thought to have finally made it, the people end up in refugee camps like Moria and experience there nothing than hell. So much contempt for humanity centered in a prison-like building, is simply disgusting! Others try their luck over the Balkan route or over various sea routes where they are confronted with a similar tragic welcome culture.

Quickly it becomes clear the fortress Europe, which promises so much prospect of improvement is only open, as long as you do not come from a third country, you are not BIPoC and / or of course you represent a useful workforce.

But well, let’s get back to the campaign and the law changes, which is why we are all here. Few people are accepted here by “benevolent” Germany. But what they experience here, as long as they do not meet an exemplary western ideal of a labor force is simply unbelievable. Isolated in asylum homes, without adequate health and mental care, the refugees are imposed conditions that, depending on their living situation, simply can not be realized and also focus only on integrating these people as a “useful” workforce, which is exploited anyways. How only can a random birthplace and visual characteristics be a selective marker of good and evil? And how can one demand so recklessly and unsympathetically from people, as with the Chancenaufethaltsgesetz, to implement proposals within a year that are not feasible depending on the life situation and also life desire and then the deportation threatens. What kind of pressure is that? Who should get part of society carefree, if the whole time the naked panic hangs in the back to be deported.

To actually give people the opportunity and time to develop freely, at their pace and according to their rhythm would probably mean admitting responsibility for flight, war and the climate crisis. And that would mean losing power. Power that is based on destroying, no matter if humans, animals or nature. It is simply perverse and amazing how this is ignored. And now here behind us (Bundestag) politicians feel doin good, because one has polished up a bit by a better wording the asylum laws, while it is the same inhuman shit as before and is only considered an improvement for those who can integrate as a good worker.

Taking up this neoliberal logic in the new migration laws is only a perverse continuation and deepening of the mechanisms of division by the capitalist system through the ulcer of a national idea. As long as nothing changes in the fundamental logic and the debate does not move to a human rights level, the state is no more than a faithful helper of the capitalist order. This points out that the federal government and the state only get lost in petty discussions and complexities, obscuring and distracting from the real discourse.

We, however, have to recognize this attempt of division and break this logic by being in solidarity, fighting together, for human rights and a good life for all. Therefore, our demand can be no less than: Right to stay for all, instead of opportunity trap!

07.10.2022: Rede von ‘Refugees with Attitudes‘ zur Auftaktkundgebung der Kampagne ‘BLEIBERECHT für ALLE – statt Chancenfalle!’

DEUTSCH UNTEN
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Foto @daniel_drewsen

Nous vous racontons l’histoire d’Abu : il a fui le Cameroun pour l’Allemagne il y a 22 ans. Sa demande d’asile a été très rapidement rejetée, comme presque toutes les demandes provenant de pays africains à l’époque. Depuis, il vit avec une tolérance dans un village du Brandebourg et est menacé d’expulsion. Depuis 22 ans !
Pendant les 15 premières années en Allemagne, il n’a eu aucune chance de suivre un cours d’allemand – ce n’est que depuis 2015 qu’il existe des cours d’allemand pour les personnes en fuite. Abu pourrait obtenir un emploi à plein temps ici à Berlin, il a déjà demandé trois fois un permis de travail pour cela. Le service des étrangers a  refusé à chaque fois – il veut l’expulser. Le fonctionnaire responsable lui a dit personnellement : Citation : “Tant que je travaillerai ici, vous n’aurez pas de permis de séjour”. Fin de citation.
Il existe enfin un projet de loi pour une nouvelle réglementation du droit de séjour. Après cinq ans en Allemagne, les demandeurs d’asile déboutés devraient également pouvoir obtenir un “ChancenAufenthaltsrecht” “ChancesDroit de séjour”. Abu a-t-il maintenant une chance ? Non, si le projet de loi de la ministre de l’Intérieur est adopté en l’état, Abu n’aura aucune chance, tout comme pour les précédentes réglementations sur le droit de rester. En effet, selon le projet de loi, les réfugiés doivent se procurer des documents afin de clarifier leur identité.
Dans le droit de séjour allemand, le principe est le suivant : les papiers sont plus importants que les personnes. Avec ce principe, les autorités bloquent le regroupement familial, empêchent les mariages et les partenariats, font traîner l’accueil des travailleurs locaux afghans et séparent les familles par des expulsions.
Cette obligation de présenter des documents qui répondent aux exigences élevées des autorités allemandes prive de nombreuses personnes de leurs chances de vie. Et souvent pas seulement à eux, mais aussi à leurs familles qui attendent leur soutien.
Une expulsion n’est pas non plus possible sans papiers, car sans un document du pays d’origine supposé, celui-ci n’accueille pas les personnes expulsées. Mais pour une expulsion, il suffit d’un “papier Laise pasee” ou de n’importe quel papier produit lors d’audiences d’expulsion par des fonctionnaires corrompus du prétendu pays d’origine.
C’est injuste ? Oui, c’est injuste. Tout le droit d’asile et de séjour est injuste.
L’ensemble du droit de séjour et du système d’asile nous met dans des cases : Les personnes ayant droit à l’asile, celles reconnues par la Convention de Genève, les personnes protégées subsidiairement, et les indésirables : les tolérés, les “expulsables”… A chaque tiroir sont associés des droits spécifiques ou des restrictions des droits de l’homme. C’est une injustice, car nous sommes tous des réfugiés, nous avons tous droit à la protection.
Personne ne fuit de son plein gré.

C’est pourquoi nous demandons un droit “ChancesDroit de séjour” pour tous !


Wir erzählen euch die Geschichte von Abu: Er floh vor 22 Jahren aus Kamerun nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde wie damals fast alle Anträge aus afrikanischen Ländern sehr schnell abgelehnt. Seitdem lebt er mit einer Duldung in einem Dorf in Brandenburg und ist von Abschiebung bedroht. Seit 22 Jahren! Die ersten 15 Jahre in Deutschland hatte er keine Chance auf einen Deutschkurs – erst seit 2015 gibt es Deutschkurse für Geflüchtete. Abu könnte hier in Berlin eine Vollzeitarbeitsstelle bekommen, schon dreimal hat er eine Arbeitserlaubnis dafür beantragt. Die Ausländerbehörde hat das jedes Mal abgelehnt – Sie will ihn abschieben. Der zuständige Beamte hat ihm persönlich mitgeteilt: Zitat „So lange ich hier arbeite bekommen Sie keine Aufenthaltserlaubnis“. Zitat Ende.
Nun gibt es endlich einen Gesetzentwurf für eine neue Bleiberechtsregelung. Nach 5 Jahren in Deutschland sollen auch abgelehnte Asylsuchende ein sogenanntes „ChancenAufenthaltsrecht bekommen können. Hat Abu jetzt eine Chance? Nein, wenn der Gesetzentwurf der Innenministerin so wie er jetzt ist verabschiedet wird, wird Abu genau wie bei den vorherigen Bleiberechtsregelungen keine Chance haben. Denn laut Gesetzentwurf müssen Flüchtlinge Dokumente besorgen, um ihre Identität zu klären.
Im deutschen Aufenthaltsrecht gilt grundsätzlich: Papiere sind wichtiger als Menschen. Mit diesem Prinzip blockieren die Behörden den Familiennachzug, verhindern Ehen und Partnerschaften, verschleppen die Aufnahme von afghanischen Ortskräften und trennen Familien durch Abschiebungen.
Diese Pflicht Dokumente einzureichen, die den hohen Anforderungen der deutschen Behörden genügen, nimmt vielen Menschen ihre Lebenschancen. Und oft nicht nur ihnen sondern auch ihren Familien, die auf ihre Unterstützung warten.
Auch eine Abschiebung ist ohne Papiere nicht möglich, denn ohne ein Dokument des angeblichen Herkunftsstaats, nimmt er die Abgeschobenen nicht auf. Aber für eine Abschiebung reicht ein „ Laise-pasee-Papier“ oder irgendein Papier, das in Abschiebeanhörungen von korrupten Beamten des angeblichen Herkunftstaates produziert wurde.
Das ist unfair? Ja, das ganze Asyl und Aufenthaltsrecht ist unfair.
Das ganze Aufenthaltsrecht und Asylsystem schiebt Flüchtlinge und Migrant*innen in Schubladen: Asylberechtigte, Anerkannte nach der Genfer Flüchtlingskonvention, subsidiär Geschützte, und die Unerwünschten: die Geduldeten, die „Ausreisepflichtigen“… Mit jeder Schublade sind bestimmte Rechte oder Einschränkungen von Menschenrechten verbunden. Das ist Unrecht, denn sie sind alle Flüchtlinge, sie haben alle ein Recht auf Schutz.

Niemand flieht freiwillig. Deshalb fordern wir ein ChancenAufenthaltsrecht für Alle!


We tell you Abu’s story: He fled from Cameroon to Germany 22 years ago. His application for asylum was rejected very quickly, as were almost all applications from African countries at that time. Since then he has been living in a village in Brandenburg with a “Duldung” and is threatened with deportation. For 22 years! For the first 15 years in Germany, he had no chance of attending a German course – German courses for refugees have only been available since 2015. Abu could get a full-time job here in Berlin; he has already applied for a work permit three times. The Foreigners’ Registration Office has refused each time – they want to deport him. The official in charge told him in person: Quote: “As long as I work here you will not get a residence permit”. End of quote.
Now there is finally a draft for a law on a new right to stay regulation. After 5 years in Germany, rejected asylum seekers should also be able to get a so-called “ChancenAufenthalt”. Does Abu have a chance now? No. If the Interior Minister’s bill is passed as it is now, Abu will have no chance, just as with the previous right to stay regulations. This is because according to the draft law, refugees must obtain documents in order to clarify their identity.
The basic principle in German residence law is that papers are more important than people. With this principle, the authorities block family reunification, prevent marriages and partnerships, delay the admission of local Afghan workers and separate families through deportations.
This obligation to submit documents that meet the high standards of the German authorities deprives many people of their life chances. And often not only them but also their families, who are waiting for their support.
Deportation is also not possible without papers, because without a document from the alleged country of origin, it does not accept deportees. But for deportation, a ” laise-pasee paper” or any kind of paper produced in deportation hearings by corrupt officials of the alleged state of origin is enough.
That is unfair? Yes, the whole asylum and residence law is unfair.
The whole right of residence and asylum system pigeonholes refugees and migrants: Those entitled to asylum, those recognised under the Geneva Refugee Convention, those with subsidiary protection, and the undesirables: the tolerated, those “obliged to leave the country”… Each pigeonhole is associated with certain rights or restrictions on human rights. This is wrong, because they are all refugees, they all have a right to protection.

Nobody flees voluntarily. That is why we demand a right of residence for all!

 
 

07.10.2022: Rede der ‚Initiative Abschiebezentrum BER verhindern’ zur Auftaktkundgebung der Kampagne ‘BLEIBERECHT für ALLE – statt Chancenfalle!’

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Foto @daniel_drewsen

Seit mehr als 3 Jahren versuchen das Land Brandenburg und die Bundesregierung, ihre Pläne für ein nationales Abschiebedrehkreuz in Schönefeld zu realisieren. Denn anders, als uns Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen der CDU beschwichtigend versichert, handelt es sich bei dem sog. “Einreise- und Ausreisezentrum” nicht lediglich um ein “Behördenzentrum”. Es geht hier um einen Ort, an dem Asylsuchende festgehalten und eingesperrt werden. Das geplante Abschiebezentrum vereint alle Institutionen unter einem Dach, die eine schnelle Abwicklung von Asylverfahren und Abschiebungen ermöglichen. So können Asylsuchende direkt nach ihrer Ankunft oder nach Erhalt eines negativen Asylbescheids hier in Schönefeld bis zu ihrer Abschiebung festgehalten, eingesperrt und ausgeflogen werden. Bereits 2018 hat der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer als Teil seines “Masterplan Migration” die Errichtung von “Gewahrsamseinrichtungen an zentralen Flughäfen” vorgeschlagen um Sammelabschiebungen zu erleichtern” und somit die Weichen für die Verschärfung und Ausbau des deutschen Grenzregimes gelegt.

Denn es geht hier nicht nur um ein einzelnes Abschiebezentrum. Das Zentrum in Schönhefeld soll ein Wegbereiter einer verschärften Grenzpolitik sein. Auch in Düsseldorf und in Passau sind Abschiebegefängnisse in Planung. Der geplante Bau des Abschiebezentrums BER muss als Teil einer viel größeren Entwicklung von Faschismus und der Ideologie weißer Überlegenheit Europas verstanden werden, die durch rassistische Grenzregime und Asylpolitik abgesichert wird. Die neuen Gesetzespakete der Bundesregierung zeigen uns, dass es kein ehrliches Interesse daran gibt, Menschen auf der Flucht ein Leben in Deutschland zu ermoeglichen, sondern weiter Steine in den Weg gelegt und Menschen kriminalisiert werden.

Seit mehr als 3 Jahren setzen Politiker:innen und Investor:innen alle erdenklichen Hebel in Bewegung um die Pläne für das Abschiebezentrum möglichst schnell und unter wenig öffentlichen Aufsehen durchzumogeln. Deshalb wurde die Zusammenarbeit mit privatem Investor Jürgen Harder besiegelt, obwohl die Auslagerung des Baus um ein vielfaches teurer ist. Somit werden parlamentarische Prozesse demokratische Einflussnahme umgangen und die politische Verantwortlichkeit des Staates verschleiert. Der Investor Jürgen Harder, der bereits wegen eines Schmiergeldskandals vorbestraft ist verdient hieran nicht schlecht: mindestens 100 Millionen Euro über die nächsten 30 Jahre werden ihm vom Land Brandenburg versprochen. Das sind 100 Millionen Euro, die ohne jegliche demokratische Zustimmung verwendet werden sollen. Gelder, die dafür verwendet werden, Menschen einszuperren.

Doch 3 Jahre später stehen auch wir heute hier. Denn wir sind entschlossen. Wir lassen uns nicht blenden. Wir durchschauen die undurchsichtige Sprache und bürokratischen Hürden.  Wir lassen uns nichts aufbinden und stehen heute wie morgen hier um unsere Forderung klar zu machen: Wir werden ein Abschiebezentrum am Flughafen BER nicht akzeptieren! Denn es geht hier um die Abschaffung von rassistischen Grenzregimen und Gefängnissen überall, um eine Welt ohne Grenzen und ohne Käfige.

Wir haben Partnerunternehmen kontaktiert, die Kunden von Harder + Partner über den Bau informiert, Ausschüsse gestört und Aufklärung am Flughafen betrieben. Wir bringen Licht an die Machenschaften hinter geschlossenen Gardinen im Landtag Brandenburgs. Es ist Zeit, die politischen Akteure unter Druck zu setzen, die tatsächlich für die menschenverachtende Politik der letzten Jahre verantwortlich sind. Es ist Zeit, Namen zu nennen. Es ist Zeit Konsequenzen zu ziehen und politische Verantwortung einzufordern. Nicht nur heute und auf dem nächsten Aktionstag. Sondern jeden Tag – bis der Bau gestoppt ist und die Asylpolitik aufhoert Menschen auf der Flucht zu kriminalisieren und anfaengt Gesetze zu verfassen, die Bleiberecht und Bewegungsfreiheit fuer alle Menschen ermoeglicht. 

Bleiberecht für Alle statt Chancenfalle!


For the past three years the Brandenburg and German government have been trying to realise their plans for a national deportation hub in Schönefeld. We know, that this so called “Arrival- and departure centre at BER Airport” won’t simply be an administrative centre, contrary to Brandenburg’s minister of the interior Michael Stübgen’s reassurances. This would be a place where Asylum-seekers are detained and imprisoned. The deportation centre is intended to house all institutions under one roof necessary for a swift and speedy processing of asylum claims and deportations. This would mean that asylum seekers are processed on-site immediately after their arrival; or asylum from other areas places in would be brought here and once their claims are denied detained until deportation.
These plans for fortifying the German border institutions have been in the making since 2018 when Germany’s previous minister of the interior Horst Seehofer introduced ideas for the construction of “detention centres at central Airports to facilitate mass deportations” as part of his “Masterplan Migration”.
This is about much more than just one deportation centre. This centre in Schönefeld is intended as a forerunner for an extended, strengthened German border for the securitisation of a racist state. Both in Düsseldorf and in Passau there are plans for similar deportation prisons. Therefore we have to understand the construction of this deportation centre at BER as part of a much broader developments in rising fascist and xenophobic politics and in a trajectory of a white supremacist European ideology fortified and secured by racist border politics.  The new asylum laws of the german government show that there is no real interest to give people on the move a chance to build up a life in germany. The new laws throw stones in the path and criminalize people seeking asylum.

For the past 3 years politicians and investors have made every effort to bypass democratic processes and push through the plans for the centre quickly and with little public attention. It is for this reason that the collaboration with Investor Jürgen Harder was decided, even though the outsourcing of the construction of the centre to a private partner is a lot more expensive than if it were built the Brandenburg government itself. Through this rental model, in which the government rents the buildings and the infrastructure for the deportation centre from the investor, democratic influence and political responsibility of the state are avoided. The investor Jürgen Harder, who has previously been convicted of fraud, has been promised the hefty sum of at least 100 Million Euro over the next 30 years. Those are 100 Million Euro of public funds, that are being deployed without democratic consent to lock people up in cages.

So, 3 years later, we are here today. And we are determined, we will fight Harder!

We have contacted the clients of Harder and Partner and informed them of the construction plans, we have disrupted committees and worked to inform people at the airport. We uncover the obscure dealings happening behind closed doors at the Landtag Brandenburg. We won’t be blinded by intransparent language and opaque bureaucracy. We will not be deceived and we will be here today and tomorrow to make our demands known: We will not accept a deportation centre here at BER Airport and we will act against it until the plans are halted. This is about ending racist border politics and prisons everywhere, for a world without borders and a world without cages.
Now is the time to put pressure on the politicians who are responsible for the racist politics of the last years. It’s time to name names, and demand political accountability. Not just today, or at the next rally, but every day, until the construction is stopped and the government starts to create laws that support refugees truely and gives them the right to stay and the right to move freely wherever they want!

07.10.2022: Flüchtlingsrat Brandenburg auf der Kindgebung zu Start der Kampagne ‘BLEIBERECHT für ALLE – statt Chancenfalle!’

Wir vom Flüchtlingsrat Brandenburg fordern gemeinsam mit euch Perspektiven für Menschen, die bereits seit vielen Jahren hier überleben, in prekärer Lebenslage sind, seit Jahren in Kettenduldungen verharren. Sie müssen bleiben können.

In Brandenburg leben derzeit etwa 7225 Menschen mit Duldung. Diese Menschen sind der Perspektivlosigkeit verdammt. Sie müssen endlich Teil dieser Gesellschaft werden können. Dafür ist das Chancen-Aufenthaltsrecht ein erster Schritt, aber noch lange nicht genug.

Immer wieder wird versucht durch kleinteilige Änderungen im Asyl-und Aufenthaltsgesetz minimale Verbesserungen für Menschen in Kettenduldung zu schaffen. Davon profitieren meist aber nur sehr wenige Menschen. Was es braucht ist ein Paradigmenwechsel! Geduldete Menschen müssen endlich als Teil der Gesellschaft anerkannt werden, sie müssen echte Chancen auf Familie, menschenwürdiges Wohnen, Arbeit, Bildung, Freundschaft bekommen, anstatt unter widrigsten Bedingungen überleben zu müssen. Es braucht ein Verständnis von Einwanderung als Selbstverständlichkeit!

Die Wirkungslosigkeit der bisherigen gesetzlichen Änderungen zeigt sich am Beispiel der sogenannten Ausbildungs- und Beschäftigungsduldungen: Nur 118 Ausbildungs- und nur 58 Beschäftigungsduldungen wurden in Brandenburg erteilt. Was ist mit dem Rest? Uns erreichen ständig Beschwerden wenn es um diese Regelungen geht. Ehrenamtliche, (Ausbildungs)betriebe und natürlich die Betroffenen selbst geraten an ihre Grenzen. Sie finden Arbeit und Ausbildung, aber bekommen häufig weder eine Erlaubnis noch eine Aufenthaltsperspektive. Es wird Integration gefordert, aber viel zu oft werden Versuche Sprache zu erlernen oder Arbeit aufzunehmen systematisch verhindert.

Es ist fraglich, ob, zumindest nach bisherigem Entwurf, das Chancen-Aufenthaltsrecht, das sich wieder an der Verwertbarkeit von Menschen orientiert, daran etwas ändern wird. Deshalb müssen die Forderungen der migrantischen Gruppen jetzt gehört werden. Nutzen Sie die Chance, das Gesetz so auszurichten, dass es wirklich etwas bewirkt.

Wir brauchen keine Symbolpolitik und erst recht keinen Nützlichkeitsrassismus – wir brauchen echte Perspektiven und ein Bleiberecht für ALLE!

 
 

DEUTSCH UNTEN

07.10.22: Speech by Women in Exile at the opening rally of the campaign RIGHT TO STAY for ALL – instead of an “opportunity-trap”!

Here you can listen to it:

Right of Stay for all!

We are Women in Exile and we are fed up with the double standard of the people in charge of making refugee policies in this country. To be seen as pro-asylum, each government comes up with a proposal to give access to asylum-seekers who have been living for long with toleration status. This could be a good thing. But, no! It is the same old story: We have to fulfil the same conditions which have kept some of us stuck in the lagers for the last five years and longer. Even those of us, who could fulfil some conditions, are criminalised and will be accused of having hindered their deportation.

The war in Ukraine has shown: It is possible to accommodate refugees in apartments. It is possible to let them build their lives here. It is possible not to deport people. Unfortunately, it also shown: These are privileges reserved for European refugees.

All the others are systematically put down and discriminated against. We are entitled to 6 m2. Women and children living in lagers are isolated in remote areas where they are exposed to racist and sexist attacks. Deportation is an everyday threat and lack of work permit excludes us from making our own living. The result of all this is depression and fear.
But we will not let fear determine our lives! We came all the way. We crossed oceans and mountains – some of us with their children. We are powerful. And we will continue to fight for the abolishment of borders and Lagers. We will continue to fight for the right to come, to stay and to go! For everybody.

Ain’t gonna let nobody turn us around! We gonna keep on a walking, keep on talking, marching up to freedom land!
So join in our call: No lager for women and children; Abolish all lagers!

Right to come, right to go and right to stay!!
Right of stay for everybody!!!


Bleiberecht für alle!

Wir sind Women in Exile und wir haben die Nase voll von der Doppelmoral der Verantwortlichen für die Flüchtlingspolitik in diesem Land. Um als Asylbefürworter zu gelten, bringt jede Regierung einen Vorschlag ein, um Asylsuchenden, die seit langem im Duldungsstatus leben, Zugang zu gewähren. Das könnte eine gute Sache sein. Aber nein! Es ist die gleiche alte Geschichte: Wir müssen die gleichen Bedingungen erfüllen, die einige von uns in den letzten fünf Jahren und länger in den Lagern festgehalten haben. Sogar diejenigen von uns, die einige Bedingungen erfüllen könnten, werden kriminalisiert und werden beschuldigt, ihre Abschiebung behindert zu haben.

Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt: Es ist möglich, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen. Es ist möglich, sie hier ihr Leben aufbauen zu lassen. Es ist möglich, Menschen nicht abzuschieben. Leider zeigte sich auch: Das sind Privilegien, die europäischen Flüchtlingen vorbehalten sind.

Alle anderen werden systematisch herabgesetzt und diskriminiert. Wir haben Anspruch auf 6 qm. Frauen und Kinder, die in Lagern leben, werden in abgelegenen Gebieten isoliert, wo sie rassistischen und sexistischen Angriffen ausgesetzt sind. Abschiebung ist eine alltägliche Bedrohung und fehlende Arbeitserlaubnisse grenzen uns aus und verhindern, dass wir unseren eigenen Lebensunterhalt verdienen. Das Ergebnis all dessen sind Depressionen und Angst.

Aber wir werden nicht zulassen, dass Angst unser Leben bestimmt! Wir sind den ganzen Weg gekommen. Wir überquerten Ozeane und Berge – einige von uns mit ihren Kindern. Wir sind stark. Und wir werden weiter für die Abschaffung von Grenzen und Lagern kämpfen. Wir werden weiter für das Recht zu kommen, zu bleiben und zu gehen kämpfen! Für jeden.

Wir werden uns von niemandem umdrehen lassen! Wir werden weitergehen, weiterreden, ins Land der Freiheit aufbrechen! Also folgt unserem Aufruf: Keine Lager für Frauen und Kinder! Alle Lager abschaffen!

Für das Recht zu kommen, das Recht zu gehen und das Recht zu bleiben!! Bleiberecht für alle!!!

07.10.2022: Rede der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V. (KuB) zur Auftaktkundgebung der Kampagne ‘BLEIBERECHT für ALLE – statt Chancenfalle!’

Manche mögen sich fragen, weshalb wir gegen das sogenannte Chancen- Aufenthaltsrecht protestieren. Ist es nicht ein Erfolg? Ist es nicht wichtig, Menschen eine Bleibeperspektive zu eröffnen? Wollen wir die harte Arbeit diskreditieren, die es gebraucht hat, um eine solche Regelung politisch durchzusetzen? Wir meinen, dass genau und differenziert hingesehen werden muss.

Das Chancen-Aufenthaltsrecht ist das Ergebnis eines schon seit Jahrzehnten andauernden politischen Kampfes verschiedener Gruppen für die Rechte von Flüchtlingen und Migrant:innen. Das Protestcamp zum 10- jährigen Jubiläum der Besetzung des O-Platzes bezeugt die Kontinuität dieser Kämpfe. Allein aufgrund der harten politischen Arbeit vieler Menschen ist es immer wieder gelungen, Perspektiven für Menschen zu schaffen, die der deutsche Staat mit Duldungen von gesellschaftlicher Teilhabe und Sicherheit ausschließt. Es geht uns also heute nicht darum, das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht zu verwerfen – es ist ein Erfolg! Wir wollen aber zugleich daran erinnern, dass viele Missstände weiter bestehen und wirklicher Fortschritt darin bestünde mit den Logiken des bestehenden Migrationsrechts, den Logiken der Kriminalisierung, Kontrolle und des gesellschaftlichen Ausschlusses zu brechen.

Die sogenannte Fortschrittskoalition hat eine Wende in der Migrationspolitik versprochen, einen Neuanfang, der einer liberalen, modernen Einwanderungsgesellschaft gerecht wird. Allerdings sehen wir im Chancen-Aufenthaltsrecht keinen solchen Neunfang, sondern im Gegenteil ein Festhalten an bekannten Methoden, Migrant:innen auszugrenzen und zu diskriminieren. Die angeblich neue Regelung ist bloß eine leicht abgewandelte Form dessen, was vorherige Regierungen bereits 2005 und 2015 eingeführt hatten: stichtagsabhängige Bleiberegelungen. Diese waren und sind aber keine Lösung. Auch damals sollten die Kettenduldungen abgeschafft werden. Da zwischenzeitlich eine mit Repressalien gespickte Form der Duldung eingeführt wurde – die sogenannte Duldung light, versehen mit Arbeits- und Bewegungsverboten –, musste nun aber eine neue Regelung her, um das Problem der Kettenduldungen erneut zu lösen. Es ist absehbar, dass dies mit dem bestehenden Gesetz nicht gelingen wird. In Deutschland leben ca. 240.000 Menschen mit einer Duldung, davon sind ca. 140.000 Personen seit fünf Jahren hier. Einem großen Teil der geduldeten Personen wird das Chancen- Aufenthaltsrecht also gar nicht offen stehen. Der Bundesregierung ist somit vollkommen klar, dass hier kein Problem gelöst, sondern bloß verwaltet wird.

Wie lange soll das dann so weitergehen? Soll alle paar Jahre des Problem der Kettenduldungen erneut halbherzig angegangen werden? Entweder machen sich die politisch Verantwortlichen ehrlich, dass hier keine Probleme gelöst, sondern bloß Missstände verwaltet werden, oder es wird endlich nach echten Lösungen gesucht: Abschaffung der Duldung nach § 60b AufenthG, stichtagsunabhängige Bleiberechts-Regelungen, angemessene Dauer eines Chancen-Aufenthaltsrechts von drei Jahren statt einem Jahr, eine Trennung von Strafrecht und Migrationsrecht und eine Öffnung der Regelung auch für Menschen ohne Aufenthaltspapiere.

Zunächst ist festzuhalten, dass es ohne die Duldung nach § 60b AufenthG das Chancen-Aufenthaltsrecht nicht bräuchte. Menschen mit anderen Duldungen könnten ein Aufenthaltsrecht durch die bestehenden Bleiberechtsregelungen bekommen. Allein die Idee, Menschen durch Repression „abschiebefähig“ zu machen, indem sie durch Arbeitsverbote, Residenzpflicht und die Nicht-Berücksichtigung ihrer Aufenthaltszeit in absolute Perspektivlosigkeit gestürzt werden, hat dazu geführt, dass diese neue Regelung gegen Kettenduldungen notwendig wird. Wir fordern die Abschaffung der Duldung nach § 60b AufenthG statt einer Politik von Zuckerbrot und Peitsche, die erst versucht den Willen von Menschen zu brechen um ihnen daran anschließend letzte Chancen zu gewähren.

Auch darf niemals aus dem Blick verloren werden, dass wer von Chancen spricht, von Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismus nicht schweigen darf. Wie kann es sein, Menschen hier in Deutschland letzte Chancen zu gewähren, wenn eine Abschiebung in den meisten Fällen damit einhergeht, dass die Menschen in ihren Herkunftsländern unter einer durch die koloniale Vergangenheit bedingten, grotesken globalen Chancenungleichheit und wirtschaftlicher Ausbeutung leiden, an der Staaten wie Deutschland mit verantwortlich sind? Die Sprache von Chancen endet nicht an Staatsgrenzen. Sie fordert vielmehr dazu auf, allen Menschen überall gleiche Chancen zu gewähren, unter anderem durch Bleiberechte und globale Bewegungsfreiheit.

Wenn wir aber schon von Chancen hier in Deutschland reden, dann muss auch gelten: Nur faire Chancen sind echte Chancen.

Was aber ist daran fair, dass eine Person, die nach dem 01.01.2017 in Deutschland eingereist ist – also beispielsweise nur einen Tag nach dem im Gesetz festgehaltenen Stichtag, am 02. Januar 2017 –, von diesen Chancen ausgeschlossen ist? Sind nicht viele von diesen Personen auch schon seit über fünf Jahren hier? Haben diese Personen nicht auch an der Gesellschaft teil und Chancen verdient? Eine derart willkürliche Stichtagsregelung ist ein Schlag ins Gesicht der sonst so hoch gepriesenen Chancengleichheit. Wir fordern eine stichtagsunabhängige Regelung, die allen Menschen die Möglichkeit eröffnet, ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu bekommen.

Was ist daran fair, Menschen ein Jahr auf Bewährung ein Aufenthaltsrecht zu geben und sie dann – ohne Ansehung ihrer Bemühungen – abzuschieben? Wer seinen Pass nicht besorgt oder nicht genug verdient, dem droht nach einem Jahr die Abschiebung. Wir fordern, dass Menschen mehr Zeit bekommen, sich ein Leben unter sicheren Bedingungen, ohne die tägliche Angst vor Abschiebung, aufzubauen. Wir fordern ein Chancen-Aufenthaltsrecht von 3 Jahren.

Was ist daran fair, dass ökonomische Kriterien wie die Sicherung des Lebensunterhalts die vermeintlichen Chancen den konjunkturellen Schwankungen des Arbeitsmarktes unterwerfen? Was ist, wenn eine Person kurz vor Ablauf des Chancen-Aufenthaltsrechts trotz aller Anstrengungen ihren Job verliert? Was ist, wenn die Ausländerbehörde mal wieder Monate braucht, um über einen Antrag zu entscheiden und

währenddessen die Anstellung aufgrund eines Konjunktureinbruchs gekündigt wird? Was hier befördert wird ist eine ökonomistische Vorstellung von gesellschaftlicher Teilhabe als Bewährung am Arbeitsmarkt. Wir fordern daher die Anerkennung verschiedenster Formen gesellschaftlicher Teilhabe jenseits der Sicherung des Lebensunterhalts.

Was ist daran fair, dass Menschen von einem Aufenthalt in Deutschland ausgeschlossen werden, wenn sie Straftaten begangen haben, die bei Deutschen nicht einmal im polizeilichen Führungszeugnis landen? Für deutsche Staatsbürger:innen verjähren Straftaten, bei Migrant:innen bleiben sie für immer in der Ausländerakte. Warum wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Viel deutlicher können Rassismus und Diskriminierung kaum in Gesetzesform gegossen werden. Wir fordern, dass alle die gleichen Chancen haben sollten und das Strafrecht nicht für migrationspolitische Zwecke missbraucht wird.

Was ist daran fair, dass Chancen nur denen gewährt werden, die sich der staatlichen Repression aussetzen? Nicht einbezogen sind bei all dem illegalisierte Personen, die keinerlei Möglichkeit haben, die neue Regelung zu nutzen, auch wenn sie seit Jahren in Deutschland leben, lieben, arbeiten und für sich, ihre Familien, Freunde und Nachbarschaft sorgen. Sind diese Menschen nicht Teil unserer Gemeinschaft? Haben sie etwa keine Chance verdient? Wir fordern, das Chancen-Aufenthaltsrecht an den tatsächlichen Aufenthalt, das Leben in Deutschland zu knüpfen, nicht daran, ob dieses Leben durch den deutschen Staat sanktioniert wurde.

Noch einmal: Wir sind nicht gegen das Chancen-Aufenthaltsrecht – es ist ein wichtiger Schritt und Ergebnis jahrelanger Kämpfe. Aber wir halten es für unzureichend. Ein Chancen-Aufenthaltsrecht, das diesen Namen wirklich verdient, müsste mit bestimmten Logiken des Migrationsrechts brechen. Dafür sind wir heute hier – für ein faires Bleiberecht für alle!