Eiskalte Weihnacht
Es ist wieder so weit: Wir feiern Weihnachten. Ein Fest der Lichter, Geschenke, Gemütlichkeit und Wärme. In allen mögliche Werbungen lesen wir jetzt: das Fest der Liebe. Einige von uns sehen in diesen Tagen vielleicht ein Krippenspiel. Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein junges Paar macht sich auf dem Weg von Nazareth, um an einer Volkszählung teilzunehmen. Eine beschwerliche Reise, weil sie hoch schwanger ist. In Nazareth angekommen, wird ihnen überall ein Zimmer zum Übernachten verweigert. Am Ende kommen sie in dem Stall unter, in dem dann auch das Baby zur Welt kommt. Das sieht im Krippenspiel meist sehr romantisch aus. Ist es aber nicht. Tatsächlich ist dies die schlechteste Unterbringung überhaupt. Aber es kommt noch schlimmer. Herodes, dem Herrscher der Region, wird vorhergesagt, dass ein Kind in genau dieser Nacht geboren wird, das ihn und seine Herrschaft bedrohen könnte. Also schickt er in seiner Paranoia seine Polizei aus und lässt alle Neugeborenen töten. Unser junges Paar mit dem neugeborenen Baby hat Glück im Unglück und kann rechtzeitig fliehen. Die Flucht wird nicht beschrieben, das Krippenspiel endet in der Regel nach der Geburt, wenn alle romantischen Momente aufgebraucht sind – auch die, die eigentlich gar nicht romantisch sind. Die Flucht mit all ihren Problemen wird nicht weiter erzählt.
Die Geburt eines Kindes, das sein Leben auf der Flucht beginnt, ist der weihnachtliche Grundmythos, der weltweit gefeiert wird. Man sollte also meinen, dass zumindest in der Weihnachtszeit Geflüchtete eine größere Wertschätzung erfahren. Aber weit gefehlt! An Europas Grenzen sterben fortwährend Menschen auf der Flucht im Mittelmeer oder zum Beispiel an den apokalyptischen Grenzzäunen an der spanisch-marokkanischen Grenze. An der polnischen Grenze nach Belarus werden Geflüchtete unter Ausschluss der Öffentlichkeit brutal über die EU-Grenze zurückgeprügelt. Geflüchtete, die es über die türkische Grenze nach Bulgarien schaffen, werden dort unter den Augen von Frontex wie Hunde in Verschlägen eingesperrt und meist ohne Verfahren wieder abgeschoben. Und der Europäische Gerichthof hat aktuell entscheiden, dass der britische Handel mit Ruanda hingenommen werden soll, abgeschobene Menschen ohne Prüfung der rechtlichen Grundlage gegen Zahlung aufzunehmen – einfach weil England sie loswerden will. Wir nehmen das nicht so hin!
Und in Deutschland? Statt menschenwürdiger Unterkünfte werden Geflüchtete immer noch in Hangars, Zelten und Turnhallen untergebracht. Abschiebungen werden forciert. Tatsächlich arbeitet die Bundesregierung an einer Ausweitung von Abschiebungen. Unbegleitete Minderjährige werden unter jugendgefährdenden Bedingungen in Notunterkünften sich selbst überlassen. Aufnahmeprogramme für gefährdete Menschen und ihre Familien aus Afghanistan existieren nur in den Sonntagsreden der Regierungsparteien. Menschen werden – auch in der Weihnachtszeit – ohne Rücksicht auf die Situation in ein ungewisses Leben abgeschoben. Und ganz so wie im Krippenspiel bleibt alles ausgeblendet, was uns die Weihnachtsgans vermiesen könnte. Deshalb ist es Zeit, hier wenigstens eine neue Weihnachtsgeschichte zu erzählen. Weihnachtsgeschichten sind sie, weil sie jetzt unmittelbar vor Weihnachten geschehen.
Mit menschenverachtenden Methoden und äußerster Brutalität schiebt die Polizei in Eberswalde am 12.12. einen Mann in den Tschad ab (Quelle). Nennen wir ihn ‘Josef’. Die Abschiebung wurde von der dortigen Ausländerbehörde angeordnet, die von Aktivisten als äußerst rassistisch beschrieben wird. Wer sich mit dem Thema Flucht beschäftigt, weiß, dass Rassismus ein immer wiederkehrendes Element bei Ausländerbehörden ist. Und auch bei der Polizei. Polizei und Ausländerbehörden, zwei Seiten einer Medaille, bei denen Rassismus ein strukturelles Problem ist. 12 Polizisten dringen nachts bei Josef ein, um ihn in Abschiebehaft zu nehmen. Er wird geschlagen und zu Boden gedrückt. Es heißt, Josef hätte etwas in den Bauch gespritzt bekommen. und Er verliert das Bewusstsein. Bei jeder Blutabnahme beim Hausarzt wird vorher die Gesundheit überprüft und eine Einverständniserklärung muss unterschreiben werden. Aber die Polizisten benehmen sich vor Ort wie die Folterknechte, vor denen er aus dem Tschad geflohen ist. Tatsächlich ist dieses Polizeiverhalten Folter.
Josef wird abgeschoben. Ohne Gepäck, ohne Geld und ohne zu wissen, was er nun tun soll, findet er sich auf dem Flughafen von N’Djamena wieder. N’Djamena ist die Hauptstadt des Tschad, das Land, aus dem Josef vor neun Jahren geflohen ist. Nicht einmal Schuhe hat er. Die deutsche Polizei hat ihn praktisch im Schlafanzug ins Flugzeug gesetzt. Nach neun Jahren in Deutschland kennt er niemanden mehr im Tschad. Sein Leben fand in Deutschland statt. Sein Überleben ist schlicht gefährdet. Währenddessen werden die 12 Polizisten über Weihnachten mit ihren Familien in Deutschland Weihnachten feiern. Mit dem ganzen Programm: Lichter, Geschenke, Gemütlichkeit und Wärme – und vielleicht schauen sie sich mit ihren Kindern ein Krippenspiel an und haben warme romantische Gefühle…
Dies ist eine wahre Geschichte. Am 22.12. fand vor der Ausländerbehörde in Eberswalde eine Kundgebung statt, um auf diesen Fall hinzuweisen. Um dies ganz deutlich zu sagen: Dies ist kein Einzelfall, nur eine typische Geschichte, die so oder so ähnlich immer wieder stattfindet. Abschiebungen geschehen in Deutschland fast täglich. Und die beschriebene Brutalität ist dabei Alltag.
Angesichts dieser deutschen Realität ist es schwierig, die deutsche Weihnachtsgemütlichkeit ernst zu nehmen. Deutsche Weihnachten sind eiskalt – und das liegt nicht an den Außentemperaturen. Aber trotzdem bleiben wir positiv, kämpfen gegen Abschiebungen und wünschen „frohe“ Weihnachten.
Beitragsbild von Matthias Groeneveld auf Pixabay