Tag der Menschenrechte – an ALLEN Tagen hinschauen!
Wie jedes Jahr am 10. Dezember ist heute Tag der Menschenrechte. An diesem Tag verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. In 30 Artikeln werden hier Rechte definiert, die für jeden Menschen „ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“ (Artikel 2 der Erklärung) und unabhängig vom rechtlichen Status in dem Land, in dem er lebt oder sich aufhält, gelten sollen.
Wie jedes Jahr gibt es eine Vielzahl von Veranstaltungen zu Menschenrechten. Zum Beispiel arbeiten die einen Historisches auf, andere beschäftigen sich mit aktuellen Schieflagen bei der Einhaltung von Menschenrechten. Und davon gibt es weltweit viele: russische Verfolgungen von Dissidenten und der Krieg in der Ukraine, US-amerikanische Folterungen in Guantanamo, tote Demonstranten im Iran oder Sudan, wo die Menschen Demokratie einfordern, die Unterdrückung der Kurden in der Türkei oder der Palästinenser in Israel und der chinesische Genozid an den Uiguren.
Wir müssen auch über Menschenrechtsverletzungen der EU und in Deutschland sprechen!
An den Außengrenzen der EU werden Menschen regelmäßig zurückgetrieben, damit sie möglichst keinen europäischen Boden erreichen: Boote werden auf dem Mittelmeer zurückgedrängt und die Menschen libyschen Lagern überlassen. Die spanische Polizei prügelt Flüchtlinge hinter den Zaun nach Marokko zurück. In Bulgarien, Ungarn und dem neuesten EU-Kandidaten Kroatien werden Flüchtlinge bei Ankunft unter ähnlichen Bedingungen interniert – nicht etwa in Gefängnissen, sondern in Drahtverhauen. In Griechenland wurden Flüchtlinge mit scharfer Munition beschossen, um über die Grenze in die Türkei zurückgedrängt zu werden. Und in Polen, das allgemein zurzeit für seine Aufnahme vieler ukrainischer Flüchtlinge gelobt wird, werden an der Grenze nach Belarus alle anderen Flüchtlinge brutal zusammengeschlagen und zurückgedrängt – ohne, dass Europa hinschaut.
Und in Deutschland? In Deutschland müssen Migranten und besonders Flüchtlinge erst einmal an der Ausländerbehörde vorbeikommen. In den meisten herrscht ganz offensichtlich die Meinung vor, nur ein abgeschobener Ausländer sei ein guter Ausländer. Migrant*innen und besonders Flüchtlinge berichten immer wieder von Schikanen beim BAMF oder bei Ausländerbehörden. Überraschend oft gehen dort Dokumente verloren und Bearbeitungszeiten ziehen sich schon mal in inakzeptabler Weise in die Länge. Besonders Menschen in Duldung sind hier Freiwild. Dazu muss man wissen, was Duldung bedeutet: eine Situation, in der aus verschiedenen Gründen kein Recht auf Asyl gewährt wird, aber eine Abschiebung formal juristisch eigentlich nicht erwogen wird – jeweils für ein halbes Jahr und das nicht selten über viele Jahre hinweg. Die Gründe sind vielfältig. Oft ist das Problem, dass Flüchtlinge keine Identitätspapiere besorgen können, weil sie in gewünschter Form nicht existieren oder ein Gang zur jeweiligen Botschaft eine Selbstauslieferung an folternde oder mordende Staaten bedeuten kann. Oder der Asylantrag wurde abgelehnt, aber eine Abschiebung ist nicht möglich, weil das Leben des Betroffenen im Herkunftsland trotzdem gefährdet ist – eine besonders prekäre Situation angesichts der Ablehnung.
Viele Ausländerbehörden scheinen sich vor allem als Abschiebebehörden zu verstehen. Und dazu wird Recht auch immer wieder gebeugt – Hauptsache, die Abschiebequote stimmt. An der Oberfläche will die Ampelregierung hier mit dem neuen Chancen-Aufenthaltsrecht Abhilfe schaffen, ein Gesetz, das menschenfreundlich aussehen soll, aber so gut wie niemandem helfen wird. Im Gegenteil! Abschiebungen stehen im direkten Widerspruch zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Nur das Fehlverhalten einer Behörde? Nein, auch der Staat selbst ist nur in Sonntagsreden freundlich, wenn es um Flüchtlinge geht. So war jahrelang ein verfassungswidriges Gesetz in Kraft: Das Aslbewerberleistungsgesetz. Erst kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht die Praxis gekippt, dass alleinstehenden Flüchtlingen in Asylwohnheimen ausstehende Geldleistungen mit der Begründung gekürzt wurden, dass sie dort mit anderen zusammenleben. Was der Gesetzgeber nun daraus macht, ist noch nicht ausgemacht. Wir haben keine allzu hohen Erwartungen an Verbesserungen haben.Wir erwarten von der amtierenden Regierung eherTricksereien, um das alte System beizubehalten und schön zu reden. Eine menschenwürdige Existenz ist so nicht möglich. Damit steht das deutsche Asyl- und Aufenthaltsrecht im Widerspruch zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Was vor einigen Jahren noch hinter vorgehaltener Hand geredet wurde, ist seit den Erfolgen von AfD und Pegida in der so genannten bürgerlichen Mitte angekommen. Und auch etliche Politiker von CDU/CSU und FDP sind sich nicht zu schade, an das AFD-Programm erinnernden Stammtischsprüche zu verbreiten.
Reden wir auch über Racial Profiling und weitere Polizeiübergriffe. Immer wieder missbraucht die Polizei ihre Macht zum Beispiel bei Kontrollen, die auf vermeintlichen „Rasse“, „Hautfarbe“, Sprache,Religion, Nationalität oder „ethnischen Herkunft“ beruhen. Schon 2017 hat eine Expert*inen-Gruppe der UN festgestellt, dass Racial Profilingsich in Deutschland immer weiter verbreitet. Seitdem ist nichts besser geworden. Zu Recht war die Empörung in deutschen Medien auch groß, als in den USA George Floyd in einem Polizeieinsatz umgebracht wurde. Man fragt sich nur, wo der große mediale Aufschrei blieb, als Oury Jalloh in Polizeigewahrsam ermordet wurde. Um es gleich klar zu stellen, Morde der Polizei sind keine Einzelfälle. Alleine in der ersten Oktoberwoche dieses Jahres wurden in Frankfurt, Köln, Oer Erkenschwick (Kreis Recklinghausen) und Dortmund vier Menschen bei rassistischen Polizeieinsätzen getötet. Wie immer wurden sie im nachherein kriminalisiert, um das Fehlverhalten der Polizei zu beschönigen. In Hamburg konnte der Anwalt eines Betroffenen gerade erst das systematische Lügengebäude der Polizei bei ausufernder Polizeigewalt nachweisen. Definitiv handelt es sich nicht um Einzelfälle, sondern um strukturelles Polizeiverhalten. Eine Polizei, die Migrant*innen gängelt, mitunter auch umbringt und dies immer wieder als angemessen betrachtet – das sind Verletzungen von Menschenrechten.
Man könnte diese Auflistung von Menschenrechtsverletzungen in Deutschland noch deutlich erweitern. Aber auch so ist schon klar: ein Tag für die Menschenrechte ist gut, aber wir brauchen 365 Tage der Menschenrechte im Jahr. So manche*r Redner*in mag am 10.12. auf Menschenrechtsverletzungen hinweisen. Aber zu oft geschieht das bei Menschenrechtsrechtsverletzungen, deren Kritik uns nichts abverlangt, weil keine politischen oder wirtschaftlichen Verbündeten angesprochen werden.
Wir ALLE müssen an allen Tagen hinschauen, was in der Welt geschieht und Menschenrechtsverletzungen anprangern und uns dagegen stellen. Nicht zuletzt müssen wir das auch vor der eigenen Tür und im eigenen Haus tun. Menschenrechtsverletzungen geschehen tagtäglich vor unseren Augen. Machen wir die Augen weit auf!
Beitragsbild von Dimitris Vetsikas auf Pixabay