Nancy Faesers “Diskussionspapier”
Anfang August hat die Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen Diskussionsentwurf über Gesetzesverschärfungen bei Abschiebungen vorgelegt. Er enthält Pläne, die schon bei der Innenministerkonferenz vom 10. Mai 2023 festgehalten wurden und die Abschiebungen erleichtern sollen. Diese Pläne bedeuten weitreichende Entrechtungen von Geflüchteten.
Es ist unglaublich, bereits jetzt kennt das Aufenthaltsrecht vier verschiedene Kategorien von Abschiebehaft:
- Vorbereitungshaft (um die Abschiebung zu erleichtern, bis zu 6 Wochen)
- Sicherungshaft (bei Verdacht auf Fluchtgefahr, bis zu 6 Monate, kann auf 12 Monate verlängert werden)
- Ingewahrsamnahme (ohne vorherige richterliche Anordnung, wenn die Behörden davon ausgehen, dass die betroffene Person „sich der Sicherungshaft entziehen will“)
- und Ausreisegewahrsam (für maximal 10 Tage, für Menschen, deren Ausreisefrist abgelaufen ist und denen die Behörden unterstellen, dass sie “fortgesetzt ihre Mitwirkungspflichten verletzt” haben oder “über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht” haben).
Die Höchstdauer des sogenannten „Ausreisegewahrsams“ soll nun von 10 Tage auf 28 Tage verlängert werden.
Bisher war eine Abschiebehaft nur möglich, wenn der Asylantrag abgelehnt wurde. Nun soll die Abschiebehaft unabhängig von Asylantragsstellungen möglich sein, also auch, wenn über einen Asylantrag noch nicht entschieden wurde.
Außerdem soll ein Verstoß gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote nun als „eigenständiger Haftgrund“ geregelt werden, unabhängig davon, ob „Fluchtgefahr“ bestehe (vgl. “Diskussionsentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Verbesserung der Rückführung”). Diese Formulierung lässt vermuten, dass nun allein bei Vorwurf der „illegalen“ Einreise bzw. des „illegalen“ Aufenthalts Menschen in Abschiebehaft genommen werden können. Tatsächlich ist die „illegale“ Einreise für die meisten Geflüchteten ein unvermeidbarer Normalzustand. Es gibt in der EU kein Visum, dass die Einreise für das Stellen eines Asylantrags vorsieht. So bleibt den Menschen schlicht nichts anderes möglich, als „illegal“ einzureisen.
Den Behörden soll ein Beschwerderecht eingeräumt werden, wenn der Abschiebehaftantrag von Gerichten abgelehnt wird.
Außerdem soll es den Behörden ermöglicht werden, auch andere Räumlichkeiten als das Zimmer des Betroffenen in einer Gemeinschaftsunterkunft betreten zu können.
Gesetzlich festgelegt werden soll auch, dass Widerspruch und Klage gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Aufschiebende Wirkung bedeutet im Verwaltungsrecht, dass z.B. die Abschiebung so lange nicht vollzogen werden darf, bis die nächste gerichtliche Instanz über den Widerspruch oder die Klage entschieden hat. Mit der neuen Regelung sollen Abschiebungen zukünftig auch dann möglich werden, wenn Widerspruchs- oder Klageverfahren noch laufen, also die Gerichte noch keine Entscheidungen über den Widerspruch/die Klage getroffen haben. Ebenso sollen Wohnsitzauflagen und räumliche Beschränkungen künftig sofort durchsetzbar sein. Wenn Personen gegen diese Anordnungen Widerspruch einlegen oder klagen, soll es auch hier keine aufschiebende Wirkung mehr geben, wie es bisher der Fall ist.
Weiterhin ermöglicht werden soll auch das „frühzeitige Auslesen von Mobiltelefonen zur Identitätsklärung“, wenn Personen keinen gültigen Pass oder Passersatz haben. Dies ist ein Bruch mit Grundrechten wie den Persönlichkeitsrechten und dem Datenschutzrecht.
Die Vorhaben bedeuten eine weitere Entrechtung Geflüchteter.
Gesellschaftlichen Konsens darüber wollen die Befürworter*innen dieser Maßnahmen, zu denen sich Politiker*innen aus SPD, FDP, CDU/CSU und natürlich der AfD gesellen, mit falschen Angaben zu Asylanträgen und Abschiebungen erreichen: So wird in Debatten um Abschiebungen immer wieder von den sogenannten „Ausreisepflichtigen“ gesprochen, aber verschwiegen, dass fast die Hälfte dieser Ausreisepflichtigen nicht Personen sind, deren Asylanträge abgelehnt wurden, sondern oft legal eingereist sind, beispielsweise als Studierende oder mit einem Besuchsvisum (vgl. PRO ASYL 14.08.2023) Bei dem Anteil derer, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, liegen zum Großteil Gründe vor, die eine Abschiebung unmöglich machen, wie medizinische Gründe, familiäre Bindungen, Berufsausbildungen oder die Tatsache, dass in das Herkunftsland nicht abgeschoben werden kann ( vgl. PRO ASYL 27.04.2023).
Verschwiegen wird auch, dass ein Großteil der Asylsuchenden in Deutschland vom BAMF als schutzberechtigt anerkannt werden (vgl. Aktuelle Zahlen des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ). Viele abgelehnte Asylanträge, die von Gerichten überprüft werden, erweisen sich als falsch und werden aufgehoben (vgl. PRO ASYL 27.04.2023). Wenn die Pläne von Nancy Faeser jedoch zu Gesetzen werden sollten, werden die Abschiebeerleichterungen und die Tatsache, dass Widerspruch- und Klageverfahren keine aufschiebende Wirkung mehr haben, dazu führen, dass Menschen abgeschoben werden, bevor sie ihre Rechte überhaupt wahrnehmen können.
So schließt sich der Kreis: Geflüchtete werden bereits bei der Einreise in die EU wie Kriminelle behandelt und grundlos in Haft genommen. Wer es trotz allem schafft, in Deutschland einzureisen, kommt auch hier in Abschiebehaft.
Dabei liegen humane Lösungen für Probleme wie die Unterbringung Geflüchteter auf der Hand: die Wohnpflicht in Erstaufnahmeeinrichtungen und die Wohnsitzauflage müssen abgeschafft werden, d.h. es muss Geflüchteten ermöglicht werden, den Wohnort frei zu wählen. Außerdem muss Wohnraum in Städten und Kommunen geschaffen werden, denn knapper Wohnraum ist ein zusätzliches Problem, das die gesamte Gesellschaft betrifft. Auch Arbeitsverbote müssen abgeschafft werden – Geflüchtete müssen die Möglichkeit haben, eigenes Einkommen zu erwirtschaften und damit unabhängig von staatlichen Leistungen zu werden.
Aber natürlich muss die Regierung auch den Willen haben, billige Rhetorik und populistische Vorschläge gegen konstruktive Lösungen einzutauschen. Das scheint gerade leider nicht der Fall zu sein. Es ist an uns allen, gegen diese inhumane Asyl- und Migrationspolitik zu protestieren! Bedingungsloses Bleiberecht für Alle!
Beitragsbild: Demonstration gegen Abschiebungen und Abschiebehaft, 12.05.2019 am Flughafen Berlin-Schönefeld