Hätte, hätte – Duldungskette…
Am Freitag, den 02.12.2022 hat die Bundesregierung das Chancen-Aufenthaltsrecht beschlossen. Das Gesetz wird von der Regierung als eine menschenfreundliche Geste verkauft. Und das ist es dann wohl auch: nur eine Geste. Darüber hinaus eine, die nur an der Oberfläche freundlich erscheint. Tatsächlich verdient es seinen Namen nicht – weder sollte man allzu große Erwartungen an die Chancen haben, noch verbinden sich für den größeren Teil der Menschen in Duldung damit realistische aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten. Was so einfach klingt – Deutschkenntnisse, eine Arbeit finden und die Identität klären – ist im täglichen Leben viel zu oft mit schier unüberwindlichen Hürden und Problemen verbunden. Im Koalitionsvertrag war noch die Rede davon, dieses Gesetz der bisherigen Praxis der Kettenduldung entgegenzusetzen. Aber jetzt ist klar: Kettenduldungen wird es weiterhin geben und vermutlich noch mehr.
Das Gesetz in Kürze: Menschen, die am Stichtag 31.10.2021 bereits fünf Jahre lang in Duldung gelebt haben, sollen 18 Monate bekommen, um diese drei Kriterien zu erfüllen. Alle anderen gehen leer aus. Nun soll das in 18 Monaten geschafft werden, was vorher in fünf Jahren nicht möglich war!? Wer es in der vorgegebenen Zeit nicht schafft oder nur ein oder zwei von drei Kriterien umsetzen konnte, fällt zurück in Duldung. Wer dabei möglicherweise seine Identitätsdokumente beschaffen konnte, muss damit rechnen, aktiv an seiner eigenen Abschiebung mitgearbeitet zu haben. Teil der Pläne der Regierung ist es nämlich auch, eine so genannte Rückführungsoffensive zu starte. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass man das fragwürdige System der Abschiebungen ausbauen will.
Übrigens wurden diese Fristen erst in den letzten Tagen vor Freitag noch von 12 auf 18 Monate verlängert. Damit die FDP damit einverstanden ist, musste im Gegenzug eingefügt werden, dass Jugendliche für einen Aufenthaltserlaubnis nach §25a Aufenthaltsgesetz mindestens ein ganzes Jahr davor in Duldung gelebt haben. Bisher musste nur unmittelbar die Duldung zum Zeitpunkt der Aufenthaltsrechtsvergabe bestehen, also mindestens an dem Tag selbst. Damit erhöht sich für jugendliche Flüchtlinge die Abschiebegefahr enorm. Aber das ist vielleicht ja auch Programm angesichts der Rückführungsoffensive. Ausgerechnet Jugendliche, die als besonders schutzwürdig gelten sollten, müssen hier als Bauernopfer herhalten?
Am Freitag wurde außerdem auch ein Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren beschlossen. Asylverfahren sollen damit vereinfacht werden. Die Vereinfachung besteht zum einen darin, dass das BAMF Anhörungen jetzt als Videokonferenz durchführen kann. Dolmetscher sollen so einfacher hinzugeschaltet werden können. Die ohnehin schwierige Situation für Flüchtlingen, teilweise intimste Details unter kulturell und sprachlich schwierigen Umständen in einer Verhörsituation preisgeben zu müssen, wird hier verschlimmbessert. Tatsächlich ist es aber noch schlimmer: Zum anderen können die Beamten nun auch einfach ganz ohne Anhörung entscheiden, also nach Aktenlage. Sicher, eine Vereinfachung – für die Behörde! Für Flüchtlinge eine klare Verschlechterung ihrer Rechtslage!
Es ist denkbar, dass die Erstbearbeitung sich zeitlich verkürzt. Dafür wird es – und das ist bei diesem Gesetz von vorne herein klar – zu einer Verlängerung der Gesamtzeiten bis zu einer Anerkennung kommen. Eine Zunahme von Widersprüchen ist hier vorprogrammiert, weil bei dieser Verfahrensweise Fehler der Behörde auf jeden Fall zunehmen werden. Hier scheint wieder die im Koalitionsvertrag angekündigte Rückführungsoffensive durch. Das stinkt geradezu nach dem Wunsch der Regierung, Flüchtlinge leichter ablehnen und abschieben zu können. Und hier schließt sich auch der Kreis zum Chancen-Aufenthaltsrecht: Diese Vorgehensweise wird zu einer Ausweitung von Duldungen und eben auch Kettenduldungen führen.
Wenn die Ampel-Regierung das als den großen Wurf als Teil von einem „Neuanfang in der Migrations-und Integrationspolitik“ (Koalitionsvertrag) hält, liegt sie absolut falsch. Dies ist das Gegenteil davon! Aber das wissen alle Beteiligten in der Regierung und da sie es hätten besser machen können, ist davon auszugehen, dass sie auch kein wirkliches Interesse an einer Verbesserung haben.
Ein interessantes Detail: Der Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren wurde am 10.11. im Bundestag eingebracht und jetzt nur knapp drei Wochen später zur Abstimmung eingebracht. Kaum Zeit für irgendjemanden, sich damit auseinanderzusetzen. Auch die Informationen zum Chancen-Aufenthaltsrecht wurden nur ausgesprochen schlecht nach außen kommuniziert. Für die öffentliche Anhörung am 28.11., fünf Tage vor der Abstimmung, wurde die notwendige Information dazu erst wenige Tage vor dem Termin veröffentlicht. Wir haben die Berichterstatter*innen des Aussschusses aller drei Regierungsparteien etwa eine Woche vor der Anhörung per Mail um Informationen zur Anhörung (u.a. schlicht die Uhrzeiten) gebeten. FDP und SPD haben gar nicht geantwortet. Von den Grünen kam eine lapidare Antwort, die Daten würden sicher noch in den nächsten Tagen veröffentlicht und wir müssten eben warten. Transparenz und demokratische Vorgehensweisen gehen anders! Und eine menschenfreundliche Asylpolitik geht ebenfalls anders!